"Wie das?" fragte Govinda Xngstlich.
"HXre gut, Lieber, hXre gut! Der SXnder, der ich bin und der du bist, der ist SXnder, aber er wird einst wieder Brahma sein, er wird einst Nirvana erreichen, wird Buddha sein X und nun siehe: dies "Einst" ist TXuschung, ist nur Gleichnis! Der SXnder ist nicht auf dem Weg zur Buddhaschaft unterwegs, er ist nicht in einer Entwickelung begriffen, obwohl unser Denken sich die Dinge nicht anders vorzustellen weiX. Nein, in dem SXnder ist, ist jetzt und heute schon der kXnftige Buddha, seine Zukunft ist alle schon da, du hast in ihm, in dir, in jedem den werdenden, den mXglichen, den verborgenen Buddha zu verehren. Die Welt, Freund Govinda, ist nicht unvollkommen, oder auf einem langsamen Wege zur Vollkommenheit begriffen: nein, sie ist in jedem Augenblick vollkommen, alle SXnde trXgt schon die Gnade in sich, alle kleinen Kinder haben schon den Greis in sich, alle SXuglinge den Tod, alle Sterbenden das ewige Leben. Es ist keinem Menschen mXglich, vom anderen zu sehen, wie weit er auf seinem Wege sei, im RXuber und WXrfelspieler wartet Buddha, im Brahmanenwartet der RXuber. Es gibt, in der tiefen Meditation, die MXglichkeit, die Zeit aufzuheben, alles gewesene, seiende und sein werdende Leben als gleichzeitig zu sehen, und da ist alles gut, alles vollkommen, alles ist Brahm an. Darum scheint mir das, was ist, gut, es scheint mir Tod wie Leben, SXnde wie Heiligkeit, Klugheit wie Torheit, alles muss so sein, alles bedarf nur meiner Zustimmung, nur meiner Willigkeit, meines liebenden EinverstXndnisses, so ist es fXr mich gut, kann mich nur fXrdern, kann mir nie schaden. Ich habe an meinem Leibe und an meiner Seele erfahren, dass ich der SXnde sehr bedurfte, ich bedurfte der Wollust, des Strebens nach GXtern, der Eitelkeit, und bedurfte der schmXhlichsten Verzweiflung, um das Widerstreben aufgeben zu lernen, um die Welt lieben zu lernen, um sie nicht mehr mit irgendeiner von mir gewXnschten, von mir eingebildeten Welt zu vergleichen, einer von mir ausgedachten Art der Vollkommenkeit, sondern sie zu lassen, wie sie ist, und sie zu lieben, und ihr gerne anzugehXren. X Dies, o Govinda, sind einige,von den Gedanken, die mir in den Sinn gekommen sind."
Siddhartha bXckte sich, hob einen Stein vom Erdbodene auf und wog ihn in der Hand.
"Dies hier," sagte er spielend, "ist ein Stein, und er wird in einer bestimmten Zeit vielleicht Erde sein, und wird aus Erde Pflanze werden, oder Tier oder Mensch. FrXher nun hXtte ich gesagt: Dieser Stein ist bloX ein Stein, er ist wertlos, er gehXrt der Welt der Maja an; aber weil er vielleicht im Kreislauf der Verwandlungen auch Mensch und Geist werden kann, darum schenke ich auch ihm Geltung. So hXtte ich frXher vielleicht gedacht. Heute aber denke ich: dieser Stein ist Stein, er ist auch Tier, er ist auch Gott, er ist auch Buddha, ich verehre und liebe ihn nicht, weil er einstmals dies oder jenes werden kXnnte, sondern weil er alles lXngst und immer ist X und gerade dies, dass er Stein ist, dass er mir jetzt und heute als Stein erscheint, gerade darum liebe ich ihn, und sehe Wert und Sinn in jeder von seinen Adern und HXhlungen, in dem Gelb, in dem Grau, in der HXrte, im Klang, den er von sich gibt, wenn ich ihn beklopfe, in der Trockenheit oder Feuchtigkeit seiner OberflXche. Es gibt Steine, die fXhlen sich wie Xl oder wie Seife an, und andre wie BlXtter, andre wie Sand, und jeder ist besonders und betet das Om auf seine Weise, jeder ist Brahman, zugleich aber und ebensosehr ist er Stein, ist Xlig oder saftig, und gerade das gefXllt mir und scheint mir wunderbar und der Anbetung wXrdig. X Aber mehr lass mich davon nicht sagen. Die Worte tun dem geheimen Sifin nicht gut, es wird immer alles gleich ein wenig anders, wenn man es ausspricht, ein wenig verfXlscht, ein wenig nXrrisch X ja, und auch das ist sehr gut und gefXllt mir sehr, auch damit bin ich sehr einverstanden, dass das, was eines Menschen Schatz und Weisheit ist, dem andern immer wie Narrheit klingt."
Schweigend lauschte Govinda.
"Warum hast du mir das von dem Steine gesagt?" fragte er nach einer Pause zXgernd.
"Es geschah ohne Absicht. Oder vielleicht war es so gemeint, dass ich eben den Stein, und den Fluss, und alle diese Dinge, die wir betrachten und von denen wir lernen kXnnen, liebe. Einen Stein kann ich lieben, Govinda, und auch einen Baum oder ein StXck Rinde. Das sind Dinge, und Dinge kann man lieben. Worte aber kann ich nicht lieben. Darum sind Lehren nichts fXr mich, sie haben keine HXrte, keine Weiche, keine Farben, keine Kanten, keinen Geruch, keinen Geschmack, sie haben nichts als Worte. Vielleicht ist es dies, was dich hindert, den Frieden zu finden, vielleicht sind es die vielen Worte. Denn auch ErlXsung und Tugend, auch Sansara und Nirvana sind bloXe Worte, Govinda. Es gibt kein Ding, das Nirvana wXre; es gibt nur das Wort Nirvana."
Sprach Govinda: "Nicht nur ein Wort, Freund, ist Nirvana. Es ist ein Gedanke."
Siddhartha fuhr fort: "Ein Gedanke, es mag so sein. Ich muss dir gestehen, Lieber: ich unterscheide zwischen Gedanken und Worten nicht sehr. Offen gesagt, halte ich auch von Gedanken nicht viel. Ich halte von Dingen mehr. Hier auf diesem FXhrboot zum Beispiel war ein Mann mein VorgXnger und Lehrer, ein heiliger Mann, der hat manche Jahre lang einfach an den Fluss geglaubt, sonst an nichts. Er hatte gemerkt, dass des Flusses Stimme zu ihm sprach, von ihr lernte er, sie erzog und lehrte ihn, der Fluss schien ihm ein Gott, viele Jahre lang wusste er nicht, dass jeder Wind, jede Wolke, jeder Vogel, jeder KXfer genau so gXttlich ist und ebensoviel weiX und lehren kann wie der verehrte Fluss. Als dieser Heilige aber in die WXlder ging, da wusste er alles, wusste mehr als du und ich, ohne Lehrer, ohne BXcher, nur weil er an den Fluss geglaubt hatte."
Govinda sagte: "Aber ist das, was du `Dinge' nennst, denn etwas Wirkliches, etwas Wesenhaftes? Ist das nicht nur Trug der Maja, nur Bild und Schein? Dein Stein, dein Baum, dein Fluss X sind sie denn Wirklichkeiten?"
"Auch dies," sprach Siddhartha, "bekXmmert mich nicht sehr. MXgen die Dinge Schein sein oder nicht, auch ich bin alsdann ja Schein, und so sind sie stets meinesgleichen. Das ist es, was sie mir so lieb und verehrenswert macht: sie sind meinesgleichen. Darum kann ich sie lieben. Und dies ist nun eine Lehre, Xber welche du lachen wirst: die Liebe, o Govinda, scheint mir von allem die Hauptsache zu sein. Die Welt zu durchschauen, sie zu erklXren, sie zu verachten, mag groXer Denker Sache sein. Mir aber liegt einzig daran, die Welt lieben zu kXnnen, sie nicht zu verachten, sie und mich nicht zu hassen, sie und mich und alle Wesen mit Liebe und Bewunderung und Ehrfurcht betrachten zu kXnnen."
"Dies verstehe ich," sprach Govinda. "Aber eben dies hat er, der Erhabene, als Trug erkannt. Er gebietet Wohlwollen, Schonung, Mitleid, Duldung, nicht aber Liebe; er verbot uns, unser Herz in Liebe an Irdisches zu fesseln."
"Ich weiX es", sagte Siddhartha; sein LXcheln strahlte golden. "Ich weiX es, Govinda. Und siehe, da sind wir mitten im Dickicht der Meinungen drin, im Streit um Worte. Denn ich kann nicht leugnen, meine Worte von der Liebe stehen im Widerspruch, im scheinbaren Widerspruch zu Gotamas Worten. Eben darum misstraue ich den Worten so sehr, denn ich weiX, dieser Widerspruch ist TXuschung. Ich weiX, dass ich mit Gotama einig bin. Wie sollte denn auch Er die Liebe nicht kennen, Er, der alles Menschensein in seiner VergXnglichkeit, in seiner Nichtigkeit erkannt hat, und dennoch die Menschen so sehr liebte, dass er ein langes, mXhevolles Leben einzig darauf verwendet hat, ihnen zu helfen, sie zu lehren! Auch bei ihm, auch bei deinem groXen Lehrer, ist mir das Ding lieber als die Worte, sein Tun und Leben wichtiger als sein Reden, die GebXrde seiner Hand wichtiger als seine Meinungen. Nicht im Reden, nicht im Denken sehe ich seine GrXe, nur im Tun, im Leben."